Wolfgang Melzer

(Rednerladen)

Aus meinen Sudelbüchern
Beobachtungen, Betrachtungen, Einfälle, wie sie gerade anfallen.

19.04.2025

Kein Happy End mit einem schönen Buch

Triggerwarnung:
In diesem Text ist von Dummheit die Rede: Ungeschminkt! Wörtlich! Direkt! Außerdem von Vergewaltigung, Verstümmelung, Zwangsprostitution, Missbrauch und Verlotterung – der Sprache.

Ich bin nicht Karl Kraus, der in seiner Ein-Mann-Zeitschrift  „Fackel“ über Jahrzehnte und über hunderte Seiten versuchte, die Sprache vor der Einfalt und den Geschmacklosigkeiten der Presse zu bewahren. Dazu fehlen mir sowohl Fleiß, wie Format. Ich bin nur ein alter weißer Mann, der unter derselben Krankheit leidet. Seit Jahren nutze ich die Sprachschlampereien der Medien (sowohl Mainstream- als auch Social-), um mich abzuhärten. Inzwischen bin ich so immunisiert, dass mir zum Beispiel ein „mögliches Risiko“ in der Tagesschau nur noch ein Achselzucken abringt. Es sticht zwar immer noch, aber es juckt nicht mehr. Ein schöner Erfolg – auf seine Weise. Ich sah mich gefeit.
Aber wenn dem Esel zu wohl ist …
 
Seit Längerem schon fragte ich mich, was junge  Menschen so lesen und warum. Jemand, der es wissen musste, geleitete mich in der Bibliothek zu einem Regal mit dicken bunten Bänden. Die Cover geprägt und lackiert, die Schnitte mit Motiven bedruckt. So etwas gilt in der Szene als schön. Kleine weiße Schildchen auf den Buchrücken verkündeten, dass es sich hier um Bestseller laut „Spiegel“-Liste handelte. Ich griff mir den Titel „Sehnsüchtig – gefunden“ von D. C. Odesza, einen Band in silbrig glänzendem Rosa und das Elend begann. Es handelte sich um den fünfhundertseitigen vierten Teil einer Reihe, bei dem ich trotz ernsten Bemühens über die Seite 49 nicht hinausgekommen bin. Das lag nicht etwa daran, dass mir die Vorgängerbände fehlten, das fällt gar nicht auf. Nein, das lag am Text selbst. Sprachlich bewegt sich dieser Bestseller nämlich auf dem Niveau der Drei-Groschen-Heftchen, die meine Tante in den sechziger Jahren las. Damals gelangte so etwas auf keine Bestseller-Liste. Und selbst meine Tante genierte sich dafür, weshalb diese Heftchen das Licht des Wohnzimmers nie erreichten, sondern ein Schattendasein auf dem Nachttisch fristeten. Heute haben diese Dinger fünfhundert Seiten, stapeln sich im Buchhandel auf den Tischen und sind die Schnelldreher in öffentlichen Bibliotheken.

Doch nun zum Buch.
Es beginnt mit einem vierteiligen Werbeblock, in dem das Vorwort einen Vorgeschmack auf das intellektuelle Niveau des ganzen Buches gibt. Darin empfiehlt die Autorin, in welcher Abfolge ihre verschiedenen Buchreihen (Unter einer Trilogie macht sie es nicht.) gelesen werden sollten und endet mit: „Dies ist meine Empfehlung. Es ist kein Muss. Nur würdet ihr euch so nicht spoilern lassen.“
Zwei Absätze davor schreibt sie zum vorliegenden Buch: „Natürlich gibt es ein Happy End. Wir lieben doch alle Happy Ends, nicht wahr?“
Da habe ich mich doch tatsächlich spoilern lassen, na sowas! Ist die Reihenfolge vielleicht doch nicht so wichtig?
Wahrscheinlich nicht, denn eine nennenswerte Handlung gibt es nicht. Vielmehr folgen tapsig geschriebene erotische Szenen, die nicht einmal in sich glaubwürdig sind, lose aufeinander. In aller Phantasielosigkeit werden billige Pornos nacherzählt. Es jammert den Hund.

Dass es die Autorin sprachlich nicht sonderlich genau nimmt, will ich nur an zwei Beispielen zeigen.
Da ist einmal der Klappentext:
„Ich wusste, du würdest nicht widerstehen können, dich bei mir zu melden. Nach heute …“ höre ich seine belustigte Stimme und atme hektisch aus und wieder (! W.M.) ein, bevor ich das Bewusstsein verliere.
„Hilf mir … Law“ keuche ich panisch in mein Handy. „Was?“, fragt er laut. „Was ist los?“
Die Sprache läuft auf Hochtouren, teilt aber lediglich Belangloses mit. Von sprachlicher Ökonomie und Genauigkeit keine Spur. Jemand atmet hektisch aus und ein und dies genau einmal, denn sonst wäre zu formulieren: Ich atme hektisch oder Ich atme hektisch aus und ein (Dieses aus und ein ist überflüssig, weil im atmen schon enthalten.) Dann verliert  dieser Jemand das Bewusstsein, bringt es aber fertig, bewusstlos noch einen Notruf zu keuchen. G.C. Lichtenberg nannte so etwas  „Prunkschnitzer“. Soweit so peinlich, aber das Ganze muss ja noch emotional hochgejazzt werden. Dazu dienen die Wörter hektisch, keuchen, panisch, die sämtlich einen Ausnahmezustand signalisieren. Nur, wo ist der?
Eine eigene Erwähnung verdient der erste Satz des Klappentextes.
Was für ein Ungetüm! Der Einschub „du würdest nicht widerstehen können“ dient lediglich dazu, atmosphärisch ein Machtverhältnis zu evozieren, das allerdings durch das plane „melden“ wieder zurückgenommen wird, das wir alle aus der Floskel kennen, man solle sich mal wieder melden.
 
Mit einem Körnchen Sprachgefühl ließen sich solche Pannen vermeiden. Andererseits: Wer behauptet eigentlich, um einen Roman zu schreiben, sei ein Gefühl für die Sprache nötig? Offensichtlich geht es ja auch ohne. Zumal wenn man durchgehen lässt, dass A zu B sagt: „Ich soll dich von Gideon entschuldigen. …“
Vermutlich ist gemeint „Ich soll Gideon (bei dir) entschuldigen.“  Aber das ist offenbar zu viel verlangt. (Nebenbei gesagt, erinnern mich solche Sätze an die Produkte von ChatGPT und Co.)

Karl Kraus, um auf ihn zurück zu kommen, kämpfte gegen die Sprachschlampereien der Presse, weil er befand, dass 95% der überhaupt lesenden Menschen, allein die Zeitungen lesen und sich an dem schlechten Deutsch der Gazetten ihr Sprachgefühl verbilden. Und dem gelte es entgegenzutreten.
Die Zeitungen sind nicht besser geworden seitdem, inzwischen scheint jedoch die Literatur, oder was dafür gehalten wird, nachgezogen zu haben. Verkaufszahlen und Einschaltquoten sind mächtige Einflussfaktoren und spielen sich lautstark als Qualitätsmerkmale auf. Aber zum Glück sind sie nicht alles. Der oder jene erwartet vom Roman dann doch Ideen, Stringenz und guten Stil statt hingeschluderter Versatzstücke.
Nur leider gilt immer noch die alte Regel, dass es geringen Aufwands bedarf, um Mist zu verzapfen, aber den zehnfachen Aufwand, ihn zu entlarven.
Deshalb werde ich künftig diese Art Genre-Literatur wieder weiträumig aus dem Wege gehen.

Admin - 11:10:05 | Kommentar hinzufügen

Kommentar hinzufügen

Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.

Um automatisierten Spam zu reduzieren, ist diese Funktion mit einem Captcha geschützt.

Dazu müssen Inhalte des Drittanbieters Google geladen und Cookies gespeichert werden.